Radiomanusskript:
 

Sendung hr2 Radiokultursommer 2002 : 30.07.02 - John Butcher - Erhard Hirt / Volker David Kirchner


Sprecher: Eine Sendereihe von Kai Stefan Lothwesen, am Mikrofon Christoph Winkelmann.

Guten Abend liebe Hörerinnen und Hörer! Heute hören Sie heute den englischen Saxofonisten John Butcher im Duo mit dem Münsteraner Gitarristen Erhard Hirt und Kammermusik von Volker David Kirchner, unter anderem die Uraufführung seines neuesten Werkes "Meine Augen möchte ich erfreuen Sulamith".

John Butcher und Erhard Hirt waren im Frühjahr 2002 zu Gast bei pol 7. Obwohl beide seit über 10 Jahren zusammen spielen, waren sie bislang eher selten als Duo zu hören: Ihr gemeinsames Projekt ist ein Trio mit dem englischen Vokalisten Phil Minton. Auf der CD " Two Concerts", veröffentlicht auf dem Berliner Label FMP, präsentiert dieses Trio eine Musik, die im Klang aufgeht - im wörtlichen Sinn: außerordentlich differenziert und strukturiert reiben sich hier Geräusche aneinander oder überlagern sich. Das Ganze ist ein dichtes Netz aus Klängen, das nicht immer erkennen lässt, welches Instrument welche Klänge erzeugt. Das ist aber auch nicht wichtig. Es kommt vielmehr darauf an, in diese Klänge einzutauchen. Wer dies schafft, dem eröffnen sich tatsächlich Welten. Kritiker bemühten oft Vergleiche mit Filmmusik, die allein über die musikalischen Stimmungen Handlungen vermittelt. Und in der Tat spielen sich in der Musik des Trios Minton/Butcher/Hirt kleinere Dramen ab, jedoch kommt das Komödiantische auch nicht zu kurz. Obwohl - oder gerade weil - die Klänge frei von semantischen Erblasten gedacht sind, haben die Musiker mit den Konnotationen leichtes Spiel: aufgeregt schnatternde Enten, kleinkindliches Gebrabbel, metallisch hart sägende Sounds, ...die Liste ließe sich ohne weiteres fortführen. Dennoch, bei aller Freiheit der Assoziation, sind reale Abbildungen sehr selten. Vielmehr suchen alle drei nach eigenen Klängen. Und dies tun sie gleich berechtigt: in diesem Trio gibt es keinen Leader, keine musikalisch vorgezogene Position.
 Und auch ohne den "dritten Mann" sind John Butcher und Erhard Hirt gleichwertige Partner. Ihre Expeditionen in den Klang sind im Duo- Rahmen vielleicht noch konzentrierter und enger aufeinander bezogen, sicher aber genauso aufregend und ungewöhnlich.

Der Jazzkritiker Markus Müller schrieb einmal: "Erhard Hirt klingt nicht wie andere Gitarristen. Das ist sein Geheimnis." Und das besteht im Finden und Ausbauen einer eigenen und wirklich unverwechselbaren Klangsprache: Erhard Hirts Gitarre lärmt wie Maschinen in einer großen Fertigungshalle, poltert wie zusammenstürzende Stapel von Ölfässern, piept wie ein uraltes C64- Computerspiel, liefert Sounds wie zu Science Fiction-Filmen, klingt wie eine Kirchenorgel sonntagabends; sie brummt, grummelt, bruzzelt, trommelt, trappelt, knackt und sägt. Doch stehen die Effekte bei Hirt nicht im Vordergrund, sie dienen lediglich zum Aufbau langer Bögen, in denen sich die Klänge entfalten dürfen.
Früher arbeitete Erhard Hirt mit Präparationen, um Sounds zu finden, "heute", sagt er, spielt "die Live-Elektronik eine größere Rolle". So ist die Reaktionszeit verkürzt, eine schnellere Interaktion ist möglich und die Sounds sind direkt veränderbar und an das Geschehen anzupassen. Und dies gibt Hirts Spiel seine ganz persönliche Note: Ihm geht es um die klanglichen Qualitäten der Elektronik. So widmet sich Erhard Hirt konsequent der Verfremdung des instrumentalen Tones mittels elektronischer Geräte. Er behandelt die Elektronik wie ein eigenständiges Instrument, das eigene Klänge und Klangfarben hervorbringt. Hirt nutzt auch die Möglichkeiten eines Gitarrensynthesizers, dessen Klanggenerator über die Saitenschwingungen angesteuert wird, und konstruiert damit und mit verschiedenen Effekten, wie zum Beispiel Hall und Delay, ganze Räume. Erhard Hirts Gitarrenspiel changiert zwischen intensitätsstarkem Ausdruck und einfühlsamen Klangtupfern und liefert so die stabile Umgebung für John Butchers fragile Saxofonpassagen. Im Gegenzug aber entwirft Butcher Ansätze, die Hirt aufgreift und in andere Richtungen führt.

Musik: John Butcher, saxes I Erhard Hirt, git: "Donnerweber" aus: "Pol-Suite" CD 4 687893, track 05,6'00"

 Das war "Donnerweber" aus der "Pol-Suite" von John Butcher, Saxofon und Erhard Hirt, Gitarre. Eine Aufnahme vom diesjährigen Festival pol 7 aus dem
Mousonturm Frankfurt.

Die musikalischen Erfahrungen beider Musiker sind breit gestreut. Erhard Hirt begann seine Lautbahn als 16jähriger Gitarrist in Blues und Rockbands, wandte sich in den 1970er Jahren dem Jazzrock zu. 1980 organisierte er den ersten Workshop für freie Musik in Münster; es folgten verschiedene Formationen, unter anderem ein Streichquintett und das Quartett Xpact mit dem Klarinettisten und Saxofonisten Wolfgang Fuchs, dem englischen Schlagzeuger Paul Lytton und dem Kontrabassisten Hans Schneider. Dieses Quartett bildete schließlich den Kern des King Übü Örchestrü, einem großen Ensemble, das führende europäische Improvisationsmusiker zusammenbrachte-
Seit den späten 80er Jahre organisierte Erhard Hirt verschiedene "Guitar Projects" mit namhaften Gitarristen, unter anderem mit Derek Bailey, Stephan Wittwer, Hans Reichel, Reinbert Evers und Eugene Chadbourne.

John Butcher studierte zunächst Physik und promovierte mit einer Arbeit über Quarks, Gluons und chromodynamischer Quantenphysik. Mitte der 1980er Jahre gab er zugunsten der Musik seine akademische Lautbahn auf. Während seines Studiums schon spielte Butcher in verschiedenen Jazzgruppen und experimentierte mit improvisatorischen Konzepten, unter anderem mit Karlheinz Stockhausens "Intuitiver Musik". Hier traf er auch auf den Pianisten Chris Buffi, mit dem er Ende der 80er Jahre das Chris Burn's Ensemble gründete, eines der wenigen größeren Ensembles, das weit gehend ohne vorstrukturierte Spielvorlagen musiziert.
Improvisation sei für ihn immer wieder eine Herausforderung, sagt John Butcher. Und diese Haltung trägt er auch in in das Duo mit Erhard Hirt. Hier fordern sich beide Musiker gegenseitig heraus; aber keiner drängt den anderen in die Enge, beide lassen sich gegenseitig Raum zum Reagieren.

Hören Sie nun "Donnerwetter", den zweiten Satz der "Pol-Suite" von John Butcher und Erhard Hirt. Aufgenommen am 16. März 2002 im Frankfurter Mousonturm.

 Musik: John Butcher, saxes I Erhard Hirt, git: "Donnerwetter" aus: "Pol-Suite" CD 4 687893, track 03,17'28"

John Butcher und Erhard Hirt spielten "Donnerwetter"; so zu hören beim Festival po17 im März dieses Jahres im Frankfurter Mousonturm.

John Butcher gilt als einer der zur Zeit interessantesten Saxofonisten der europäischen Improvisationsmusik. Seine brillante Technik, ebenso oft gelobt wie wegen ihrer Perfektion kritisiert, ist dennoch nur ein Mittel zum Zweck. Mit dem Pianisten Chris Burn versuchte Butcher schon Anfang der 1980er Jahre konventionelle Spieltechniken zu überwinden. Diese Anti-Haltung gegenüber seinem jazz- und free jazz-musikalischen Background, brachte Butcher dazu, nicht nur die Musik sondern auch die Rolle seines Instruments zu hinterfragen und schließlich die "offensichtliche Natur des Saxofons zu verwerfen", wie er es formulierte. Aus dieser Konfrontation heraus bildeten sich zwei Fixpunkte in seinem Spiel: Auch wenn Butcher heute seine damalige Ablehnung "ziemlich gekünstelt" empfindet, befasst er sich immer noch mit der Geschichte und den Möglichkeiten der Klangproduktion des Instruments. Und genau dies ist der Zugang zur Spieltechnik: über die Perfektion zum Klang gelangen. So gibt es in Butchers Spiel viele Momente, in denen sich die Technik gegen das Instrument richtet und dabei doch auch Bezüge zu seiner Geschichte offen legt: Töne, die so rau intoniert werden, dass sie kein definiertes Zentrum haben sondern in Klangwolken verschwinden, erinnern an frühe Free Jazz-Praktiken; das Spiel mit hyperschnellen in sich kreisenden Zwitscherfiguren zeigt die Nähe zur so genannten "englischen Schule" und ihrem prägenden Saxofonisten Evan Parker und die klanglichen Qualitäten des Atmens führen das Saxofon schließlich auf sich selbst zurück. Und in diesem Ansatz trifft sich John Butcher mit Erhard Hirt , der seiner Gitarre ebenso viel abverlangt wie Butcher dem Saxofon. Beide wandern am Rande der Möglichkeiten ihrer Instrumente und gewinnen dadurch neue Impulse.

Hören Sie nun die Stücke "Pitch Pedal" und "Knee" der beiden Musiker in Aufnahmen aus ihrem Duo-Konzert beim Festival po17.
 
 
 

Besprechung des selben Konzerts in DIE TAGESZEITUNG

…  Zuvor hatten der Gitarrist Erhard Hirt und der Saxofonist John Butcher zum Teil ziemlich verrückte Klänge und ein Gefühl für das Neue produziert, das - wie sich gerade bei solch gepflegten Reihen immer wieder zeigt - sehr subjektiv und flüchtig bleibt.

Hirt ist ein Electronicfreak, der das Gitarrengriffbrett als Tastatur zur Klangerzeugung nutzt. Butcher kommentiert Hirts sensible Soundcollagen mal so, als ob im Keller was nicht stimmt, dann, als hätte Pharoah Sanders gerade im Nebenzimmer Platz genommen, oder halt wie das leise Stöhnen der Entspannung. Und sehr schnell wird klar, hier geht es nicht mehr um das Fragment. Die Zeit des Unfertigen, der eben mal ins Geschehen geworfenen Klänge einschließlich der davon überwältigten und manchmal ebenso unfertigen Akteure ist passé.

Butcher kultiviert klassisches Brit-New-Music-Design, mehrmals gewaschenes T-Shirt über Hose, Hirt trägt UPS-Look mit Bart. Sein virtuelles Studio passt in einen handlichen Koffer, die Welt der elektronischen Sounds mag überschaubarer geworden sein, aber nicht durchschaubarer. Diese Musik ist neu in dem Sinne, dass sie die Klischees, die Brötzmann bedient, gar nicht erst zitiert.

ChristianBroecking  (taz  vom 20.3.2002)
 
Foto John Butcher von Brad Winter
 


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