Musikalisches Federballspiel

Improvisationen an einem kühlen Sommerabend: Lol Coxhill mit Erhard Hirt und Paul Lytton beim Hofkonzert im Podewil

Von Matthias R. Entreß

Bier, Schwof und Dixieland, das darf man beim Jazzprogramm der Hofkonzerte im Podewil nicht erwarten. Programmmacher Ingo Bauer ist auch in diesem Sommer keine Kompromisse eingegangen und hat die europäische Elite des freien Jazz und der improvisierten Musik eingeladen. Am Love-Parade-Sonnabend gastierte der englische Sopransaxofonist Lol Coxhill mit Paul Lytton, Schlagzeug und dem Münsteraner Gitarristen Erhard Hirt wegen kühlen Wetters im Saal statt im Garten. Hier konnte man auf zusätzliche Lautsprecher verzichten und der feinen Interaktion der drei Musiker gewissermaßen im Original folgen.

Der 67-jährige Lol Coxhill ist eine der Säulen der englischen Improvisationsszene. Anders als sein Kollege Evan Parker kehrt er die melodischen Qualitäten des Sopransaxofons heraus. Die individuelle stilistische Freiheit wird im Zusammenspiel dieses Trios in keiner Weise eingeschränkt. Coxhills schöner Ton, den er nur sehr vorsichtig durch Nachlassen des Lippendrucks oder unorthodoxe Grifftechnik modifiziert, bewegt sich sicher und umsichtig im musikalischen Federballspiel zwischen Lytton und Hirt. Was locker und ungebunden erscheint, ist ein Reaktionsgewebe, in dem die Harmonie genauso fein ausgehorcht wird wie der Aktionismus der Geräusche.

Während Hirt an manchen Stellen seinem Gitarrensynthesizer einige automatische Verzierungen überlässt, die Gitarre auch vor sich auf den Tisch legt und ihre Saiten wie bei einem Cymbal anschlägt, ist Paul Lytton ein Geräuschemacher wie im klassischen Hörspielstudio. Seine Geräte, kleine Trommeln, Becken und diverses Klapperzeug hat er auf drei Tischen vor sich verteilt. Coxhill, der beide Musiker schon lange kennt, kommentiert ihr Spiel mit äußerster Sensibilität in seiner freien, großräumigen Melodienfülle.

Gruppendynamische Prozesse bestimmen die Spannungskurve an diesem Abend. Die vier langen unvorbereiteten Improvisationen entwickeln einen großen Bogen, doch die Zugabe, die das kleine, aber begeisterte Publikum erzwingt, zeigt, dass auch in dieser Musik die Knappheit ihren Witz hat.

Die Kompetenz dieses Trios weckt in den Hörern großes Vertrauen in eine Musik, deren Harmonie nicht von gemütlichen Akkordfolgen geprägt ist und dennoch gar kein Interesse daran hat, ´avantgardistischª zu sein. Zurücklehnen und genießen! Wer hätte je gedacht, dass die freie Musik kühle Sommerabende wie diesen bei den Hofkonzerten so warm durchfluten könnte.

© Berliner Morgenpost 2000, Montag 10.Juli